„Love Is Blind“ nach dem Intro hört sich an wie der übliche zurzeit überall gegenwärtige Mainstream-R&B-Soundsumpf, verstrahlt aber mysteriöse düstere Atmo und ist eine Warnung an alle Mädels, die sich unsterblich verlieben und darüber hinaus die Realität vergessen. Die bösen Jungs denken ja doch nur immer an das „Eine“. Da hat sich halt seit der Steinzeit nichts geändert im archaischen mensch-männlichen Gedankengut :-)
Um wie viel qualitativ schlechter die heutigen R&B-Produzenten ihren Job verrichten, ist im nexten Song kurz in der 32. Sekunde zu hören, denn da trifft Alicia den Ton nicht ganz für eine Millisekunde – ich will nicht päpstlicher sein als der Papst, aber in den Zeiten eines Quincy Jones wäre so etwas nicht auf Zelluloid oder CD gebannt worden. „Doesn’t Mean Anything“ ist eine durchschnittliche Nummer, die Fans zwar sowieso begeistern dürfte, aber in die Abteilung „Lieder, die die Welt nicht braucht” gehört. Hat es ähnlich und besser schon auf Platten von Beyonce gegeben. Gut gesungen zwar dann im Rest vom Song, aber irgendwo zwischen langweiligem Eurovsions-Song und 1000x gefühlt gehörtem Song-Erlebnis. Alicia Keys hört sich hier vor allem nicht wie Alicia Keys an, sondern wie eine x-beliebige Studio-Sängerin auf einer 80er Tears For Fears-Platte. Und der Tastenmensch, der hier tätig ist, hat sich gerade für den Nachwuchspreis als ideenlosester Klimpergott des Jahres beworben.
Richtig knallen tut’s in „Try Sleeping With A Broken Heart“, aber auch hier wieder übler Keyboard-Sumpf – für so etwas braucht man heutzutage keine Musiker mehr, sondern nur den Tasten-und-den-Schieberegler-hoch-Menschen. Ein wildes unkultiviertes Durcheinander, das wahrscheinlich Bände spricht für die psychischen Probleme des Produzenten oder Songwriters. Wer hier genau zuhört, gibt mir Recht, wenn ich behaupte: Erinnert minimal an die Purple-Rain Phase der Prinzenrolle aus Minneapolis.
In „Wait Til You See My Smile“ wächst der Keyboarder (ist wahrscheinlich Alicia selbst) sogar über sich hinaus, spielt rhythmisch einige schöne Akkorde und legt etwas Synthie-Sound über die Musik. Und Alicia kämpft mit tapfer mit toller Stimme an gegen die Dumpfbackenkomposition und 121 beets per minute.
In „That’s How Strong My Love Is“ darf sie dann wieder etwas mit dem Keyboard klimpern, aber bloss nicht zu viel, weil es ja vielleicht sonst zu progressiv sein dürfte für den kampferprobten Mainstream-Radiofutter-Hörer, Oder verschreckt man eventuell den Radiojockey? Was waren das noch für Zeiten, als ein junger Stevie Wonder seine Songs erstens um etliche Klassen besser komponiert und interpretiert und sich auch einen Dreck um gängige Veröffentlichungsmuster geschert hatte. Alicia versucht hier ein bisschen zu singen wie Beyonce. Aber diese kommt dann später selbst noch ans Mikro.
“Un-Thinkable (I’m Ready)” heisst der folgende Song (übersetzt: “Ich bin fertig”). Mit was? Mit den Nerven? Wäre ich auch, wenn ich über solch einen langweiligen Schrott singen müsste. Auch hier gibt es wieder geniale & innovative Keyboard-sinfonische Einfälle. Nein – jetzt Scherz beiseite, das ist sogar noch einer der besseren Songs. Und dann kommt doch wie aus heiterem Himmel tatsächlich der beste Song der CD: „Love Is My Disease“ - endlich mal ein sehr gutes Song-Arrangement, Alicia singt hier auch ganz stark und sogar am Rande ihrer gesanglichen Wahrnehmung, wächst über sich hinaus. Mischung aus druckvollem R&B und leichtem Reggae-Gitarren-Rhythmus. Die Background Vocals gefallen mir hier ebenfalls gut.
Nach dem durchschnittlichen ”Like the Sea” kommt das starke “Put It In A Love Song” mit dem besonderen Gast Beyonce Knowles und hier geht dann richtig die Post ab. 92,5 bpm (beets per minute) und schöne Percussion-Vibes garantieren gute Dancefloor-Tauglichkeit. Da gibt es mit Sicherheit demnext einige Remixe. Freue ich mich schon jetzt drauf.
Und dann wird es sogar noch schneller. „This Bed“ ist ein Stück, das in Richtung 80er Soul tendiert - geht zurück in die Zeiten einer Cherelle oder Jody Watley – hier „singt“ Alicia auch endlich einmal losgelöst und losgelassen von allen zeitgenössischen dumpfbacken-R&B-Produktionsvorgaben. Ganz starker Song! Auch für alle Prince-Fans empfehlenswert, weil er in Sound, Gesang und Instrumentierung an eine Mischung zwischen „Wanna be your lover“ oder „I Feel For You“ erinnert (ich meine hier jetzt die originale Prince- und nicht die von Chaka Khan gesungene Version).
Mit „How It Feels To Fly“ und dem abschliessenden „Empire State Of Mind“ gibt es sogar 2 Balladen, bei denen Alicia Keys endlich den eigenen Ansprüchen gerecht wird. Stark gesungen, gute Melodien, hier bewegt sie sich wieder in der musikalischen Stratosphäre ihres grossartigen 2001er Albums “Songs In A Minor”.
|